Da 2025 ein Treibstoffleck in den Haupttriebwerken die Mission zu beenden drohte, wich der ESA CryoSat-Satellit am 21. November 2023 auf sein Reserveantriebssystem aus. Dieser Wechsel könnte die Lebensdauer des Satelliten um bis zu 5 bis 10 Jahre verlängern. Bislang waren die Reserve-Triebwerke nicht im Gebrauch. Wenn diese während der 13 Jahre, die CryoSat in der Erdumlaufbahn verbracht hat, durch irgendetwas beschädigt worden wären, bestünde eine geringe Chance, dass die Mission nach dem Wechsel unmittelbar zu Ende ginge.
CryoSat ist ein ESA-Satellit zur Messung der Dicke des polaren Meereises und zur Überwachung der Veränderungen der Eisschilde, die Grönland und die Antarktis bedecken. Die Mission war auf eine Dauer von rund 5 Jahren ausgelegt. Inzwischen ist sie über 13 Jahre im Orbit. Seit 2010 hat CryoSat mit dem Synthetischen Radar-Höhenmesser (Synthetic Radar Altimeter, SAR) Land- und Meereis überall auf der Erde überwacht. Damit hilft er Forschenden die wichtige Rolle des Eises bei der Klimaregulierung und die Auswirkungen der globalen Erwärmung aufzuzeigen“, sagt Tommaso Parrinello, CryoSat-Missionsmanager.
„CryoSat ist ein Geschenk, das weiterhin Freude macht. Die dreizehnjährige Erfassung des globalen Eis- und Meeresspiegels ist beispiellos und wird sich hoffentlich weiterhin so fortsetzen.” Zu den jüngsten Höhepunkten der Mission gehören die erste Jahreskarte des arktischen Meereises und unsere bisher genauesten Schätzungen des Eisvolumens, das die Gletscher und polaren Eisschilde der Erde verloren haben. Diese Daten sind von entscheidender Bedeutung, für Klimaberichte und politische Entscheidungsträger. Die CryoSat-Daten fließen auch in die Planung neuer Eisüberwachungs-Satelliten ein, wie zum Beispiel die Copernicus Polar Ice and Snow Topography Altimeter (CRISTAL) Mission.
Um ultrapräzise Messungen der Erde oder des Kosmos durchzuführen, führen die meisten Satelliten regelmäßige Manöver durch, um sie in der perfekten Umlaufbahn zu halten. CryoSat verwendet komprimierten Stickstoff um im All zu manövrieren. Das Gas wird unter hohem Druck in einem Treibstofftank gespeichert und durch eine Reihe von Rohren und Ventilen zu den Triebwerken geleitet. Die Triebwerke geben das Gas in den Weltraum ab und schieben oder drehen den Satelliten in jede gewünschte Richtung.
Es wurde nicht erwartet, dass der Treibstoffverbrauch ein limitierender Faktor für CryoSat sein würde. 2016 stellten die Betreiber von CryoSat im Europäischen Raumflugkontrollzentrum (ESOC) der ESA in Darmstadt, jedoch fest, dass der Satellit seinen 37 Kilogramm komprimierten Stickstoff viel schneller als erwartet verbrauchte.
Seit November 2023 hat CryoSat noch 13 kg Treibstoff übrig – 13 kg weniger, als er aufgrund des Einsatzes der Triebwerke für Manöver zur Aufrechterhaltung der Umlaufbahn und zur Lageregelung haben müsste. Wenn der Treibstofftank unter 5 kg sinkt, wird der Satellit nicht mehr in der Lage sein, die Richtung, in die er zeigt, zuverlässig zu steuern oder seine Umlaufbahn zu halten.
Der Stickstofftreibstoff von CryoSat wird in einem Tank unter hohem Druck gelagert. Ein Druckregler wandelt die Hochdruckluft in einen wesentlich geringeren Druck um, der von den Triebwerken genutzt wird. Gemeinsam mit den Experten des Satellitenherstellers Airbus hat das ESA-Team das Leck auf einem der kleineren Triebwerke von CryoSat lokalisiert. Die Leckrate war zunächst gering, stieg aber in den folgenden Jahren an und hat eine stabile Rate erreicht, mit der die CryoSat-Mission nur noch bis 2025 laufen könnte.
Eine Erklärung dafür könnte sein, dass irgendwo ein kleiner Riss aufgetaucht ist, der bis zu einer gewissen Größe anwuchs und dann aufhörte. Aber es ist schwierig, diese Art von Problem vom Boden aus zu diagnostizieren, und es ist unmöglich, das mit Sicherheit zu wissen.
CryoSat verfügt über ein zweites, mit dem Treibstofftank verbundenes Antriebssystem. Am 21. November, um 10:45 Uhr MEZ, leitete das Kontrollteam am ESOC den Wechsel zu diesem Reservesystem ein, als CryoSat über die Svalbard-Station auf Spitzbergen Island und die ESA-Station in Kiruna, Schweden flog. Zunächst wurden die primären Triebwerke angeschlossen und zum ersten Mal in den 13 Jahren, in denen sich CryoSat im Weltraum befindet, wurde das Hauptventil des Reserveantriebssystems geöffnet.
Im ESOC in Darmstadt schauten die Raumfahrtingenieurinnen und -ingenieure der CryoSat-Mission und das Team von Airbus gebannt auf ihre Bildschirme. Der Druck stieg – sowohl innerhalb des CryoSat-Reserveantriebs als auch im Kontrollraum auf der Erde. Der Druck im Reservesystem stabilisierte sich – was darauf hindeutet, dass das System selbst keine schwerwiegenden Probleme hatte – und der Bordcomputer des Satelliten wurde angewiesen, die Reservetriebwerke anstelle der Haupttriebwerke, die seit dem Start im Einsatz waren, zu verwenden.
Und dann … Stille.
CryoSat flog allein in Richtung Süden über Afrika und war zum ersten Mal mit seinen Reservetriebwerken verbunden. „Das Backup-System von CryoSat ist robust und wird sehr wahrscheinlich wie geplant funktionieren“, sagte Jens Lerch, Spacecraft Operations Manager von CryoSat. „Und wenn es während des Wechsels oder zu einem späteren Zeitpunkt ein Problem damit geben sollte, ist der Satellit in der Lage, autonom auf sein Hauptsystem zurückzuschalten.
Aber das können wir nicht mit Sicherheit wissen. In den 13 Jahren, in denen CryoSat im Weltraum war, wurde das Reservesystem nicht benötigt. In dieser Zeit könnte es ein ähnliches Leck erlitten haben oder durch so etwas wie einen Mikrometeoriten beschädigt worden sein. Wir hatten keine Möglichkeit, es vorher zu testen, ohne uns den gleichen Risiken auszusetzen, denen wir heute ausgesetzt sind.“
Zum Glück stieg 25 Minuten später CryoSat voll funktionsfähig über den Horizont der Troll-Bodenstation in der Antarktis. Nachdem die ordnungsgemäße Funktion der Triebwerke zur Lageregelung bestätigt wurde, wurde das Hauptventil zu den Haupttriebwerken geschlossen, um den Gasfluss durch das Leck zu stoppen.
Am nächsten Tag, dem 22. November, führte das Flugkontrollteam ein “orbitales Kontrollmanöver” durch, um die beiden größeren Triebwerke im Reservesystem zu testen. Da weder während noch nach dem Manöver Probleme festgestellt wurden, sind die Reservetriebwerke von CryoSat nun offiziell in Betrieb, und der Satellit ist in der Lage, die wissenschaftlichen Aktivitäten bis zum Ende des Jahrzehnts und möglicherweise darüber hinaus fortzusetzen.
Moment mal, das Leck wurde doch schon 2016 entdeckt. Warum bis jetzt warten, um etwas zu tun?
CryoSat hätte seit dem Start jederzeit die Möglichkeit gehabt, auf sein Reserveantriebssystem umzuschalten, wenn der Bordcomputer ein plötzliches großes Problem mit dem Hauptsystem entdeckt hätte. Die Reaktion auf ein langsames Leck stellt jedoch eine schwierigere Entscheidung dar, als die Reaktion auf ein schnelles Leck, auf das der Satellit sofort oder sogar autonom ansprechen kann.
CryoSat hat zwischen 2016 und 2023 sieben Jahre unschätzbar wertvolle Eiskartierungsdaten gesammelt. Hätte das Kontrollteam unverzüglich auf die Reservetriebwerke umgestellt und wären bei der Neukonfiguration eine Reihe von unvorhergesehenen Problemen aufgetreten, hätte es diese Daten nie gegeben. Doch je länger man wartete, desto mehr Treibstoff entwich in den Weltraum und desto weniger zusätzliche Jahre konnte man durch die Umstellung gewinnen. Der 21. November 2023 wurde daher als jener Tag bestimmt, an dem diese beiden Faktoren ins Gleichgewicht gebracht wurden.
Die Umstellung auf die Reservetriebwerke von CryoSat war ein Erfolg. Aber wir wissen noch nicht genau, um wieviel diese Umstellung die Mission verlängern könnte. Nur durch die Überwachung der Treibstoffreserven in den nächsten Tagen und Wochen wird das CryoSat-Team wissen, ob es kleinere Lecks oder Probleme im Reservesystem gibt. Im besten Fall könnte sich diese Maßnahme als unschätzbar wertvoll für die polaren Eisaufzeichnungen erweisen.
CryoSat ist ein Schlüsselelement dessen, was einige das „goldene Zeitalter der Satelliten-Höhenmessung“ nennen. Das Radar-Höhenmessgerät von CryoSat ist einzigartig, da es in der Lage ist, den Eis- und Wasserstand in allen Teilen der Erde zu überwachen. CRISTAL, der natürliche Nachfolger von CryoSat, soll erst in einigen Jahren starten. Die Verlängerung der CryoSat-Beobachtungen würde die Lücke schließen und die längste ununterbrochene Aufzeichnung von Veränderungen des globalen Eises aufrechterhalten, die es je gab.
In der Zwischenzeit könnte auch eine neuartige Zusammenarbeit mit dem NASA-Eisüberwachungs-Satelliten ICESat-2, bei der die Umlaufbahnen von ICESat-2 und CryoSat kombiniert werden, um Schnee auf Eis zu kartieren – eine wesentliche Ursache für die Unsicherheit unserer Schätzungen – die Genauigkeit der Satellitenmessungen des Eisvolumens noch weiter verbessern.
Die Erkenntnisse werden auch für zukünftige Eismissionen, darunter CRISTAL, unmittelbar anwendbar sein. Mit der kontinuierlichen Verbesserung der CryoSat-Datenprodukte, die nicht nur Meereis und Landeis, sondern auch polare Ozeane, Küstenmeere und Binnengewässer abdecken, hat die ESA-Eismission also noch einiges zu bieten.
Quelle: https://www.esa.int/Space_in_Member_States/Germany/Leben_jenseits_des_Lecks_fuer_ESA_s_CryoSat